Mittwoch, 26. Oktober 2011

VERSPRECHEN

VERSPRECHEN
Ein Bett, ein Fenster, ein kalter Boden, eine Tür. Unbequem, hässlich, unbequem, hässlich. Außerdem gibt es einen Stuhl und eine Spüle. Die Spüle ist toll, da kommt Wasser raus und ich liebe es, daraus zu trinken. Es erinnert mich einfach daran und das Gefühl tut so gut. Das Wasser ist in meinem Mund und es verändert sich in meiner Fantasie. Ich spüre, wie ich es runterschlucke und das langsame Gefühl, wie mein Blut wärmer wird, wie ich anfange zu vergessen, es ist so schön.

Vor drei Monaten hatte ich noch meine Kinder bei mir, meine Kinder sind wundervoll. sind nicht nur clever und liebevoll, sondern noch empathisch wie keine anderen. Und wie schön sie sind! Sie haben nur das Beste von Andreas und mir geerbt. Meine schöne Lily und mein kleiner Elias. Ich vermisse sie so sehr...

Es ist hier unerträglich. Ich fühle mich wie im Gefängnis. Und vorallem bekomme ich rein garnichts. Nichts! "Es ist strengstens verboten und für sie nur das Beste." Die haben doch keine Ahnung was für mich das Beste ist! Es ist zwecklos, keine Ausnahmen werden genehmigt.

Ich weiß noch, da war Elias im Krankenhaus, es war eine schlimme Zeit. Dass er eine Glatze bekam, fand er garnicht so schlimm. Er fand sie sogar toll, weil sein Lieblingsschauspieler auch eine Glatze hat. Natürlich haben ihn die Blicke der anderen Kinder gestört, aber es war für ihn okay. Aber die Therapie hat ihn sehr geschmerzt, ich habe es nicht ertragen können. Mein kleiner Elias... er sollte mit seinen Freunden Fußball spielen und mir sagen, dass er den Ball in das Fenster des Nachbarn geschossen hat, er hätte nicht im Krankenhaus liegen, seine Glatze toll finden und Schmerzen haben sollen. Da ich über die Nächte nicht bei ihm sein konnte, war ich nachts alleine zu Hause. Lily schlief natürlich schon, Andreas auf der Arbeit. Und dann sah ich ihn auf unserem Nachttisch und...

"ICH BRAUCHE JETZT WAS, GOTTVERDAMMTE WELT!", schreie ich in mein schlichtes Zimmer hinein. Ich gehe im Zimmer hin und her und ziehe an meinen Haaren. "ICH HALTE DA NICHT AUS! NEIN, ICH BRAUCHE JETZT WAS ZU SAUFEN!"

Der erste Rausch war geil. Ich trank zu viel. Anfangs betrank ich mich 1 -2 Mal in der Woche. Er gab mir Halt, ich fande es schön, vergessen zu können. Deswegen häufigte es sich. Schließlich trank ich jeden Abend, bis ich mich in den Schlaf trank. Ich erinnere mich, an einen Abend, da hatte ich schon eine halbe Flasche intus und Lily stand im Zimmer und fragte, wieso ich nicht ans Telefon ginge. Sie fing an zu weinen weil sie nicht wusste, was los ist, da sie mich noch nie betrunken gesehen hat.

"Bitte, bitte lieber Gott, nimm mir diesen Schmerz, schenke mir Durchhaltevermögen. Habe ein Auge auf meine Tochter und passe auf meinen kleinen Elias da oben auf."

Es ging so schnell. Scheidung, Verlust des Sorgerechts, Tod meines Sohnes, jeden Tag Rausch bis zur Besinnungslosigkeit. Und dann kam Andreas in meiner von der Staat bezahlten Wohnung und sagte: Ich gebe dir mein Wort: gehst du in den Entzug, darfst du Lily sehen!

Mittwoch, 5. Oktober 2011

Die Nacht, die Lichter [another perspective]

Ich hasse Spaziergänge, vor allem wenn man zu zweit ist. Man ist verpflichtet, nur der einen Person zuzuhören, mit der man gerade läuft, ohne Rücksicht auf Akzeptanz des Themas, obwohl mit ihm die Themen selbst nie unangenehm waren - es waren die Gespräche an sich, vorallem damals. Sie waren intensiv, unberechenbar oder einfach zu simpel, sie waren anstrengend. Doch sie haben mich schon immer gereizt, obwohl ich sie so hasste. Immer wenn sein Gesicht vor meinem war und er versuchte, seine Gefühle für mich zu umschreiben, damit es nicht so klingt, wie es eigentlich richtig war, machte es mich rasend. Ich wurde fuchsteufelswild, schrie ihm verletzende Sachen ins Gesicht, er solle mich in Ruhe lassen und dass ich nichts von ihm wissen will, was natürlich nicht der Wahrheit entspricht und ich war ihm für jedes Mal dankbar dafür, dass er mich nicht ernst nahm, dass er nur nickte und mich ansah. Es mag paradox klingen, aber ich war nicht sauer, ich bin heute sogar noch dankbarer als damals. Früher noch - Gott, wir waren junge, naive dreizehn Jahre alt! - ließ er mir ständig Liebesbriefe zukommen und bei jedem Brief habe ich nachfragen müssen, was es damit auf sich hat und diese Gespräche machten mich so wütend - ich starrte sie an, die Wut hatte ihre Zeit gebraucht, um sich zu etwickeln. Doch dann ging es ziemlich schnell. Die Briefe habe ich vor seinen Augen zerissen, auf den Boden geschmissen und drauf gespuckt - diese Worte auf diesen unzähligen Briefen wollte ich von ihm hören, nicht lesen; und ich warte noch heute darauf, es aus ihm herauszubekommen. Irgendwann hörte ich auf, sie vor seinen Augen zu zerstören, ich nahm sie mit, ich sammelte sie. Natürlich schreibt er mir keine mehr, also habe ich nur noch meine Sammlung, meine Liebesbriefesammlung, meine Hoffnung, sie ist der Hoffnungsträger für diese zwischenmenschliche Beziehung zwischen ihm und mir. Es ist das Nachschlagewerk für all die Wörter, die ich gerne von ihm hören würde.
Er fragt, ob ich mich noch daran erinnere, wie wir uns am Spielplatz getroffen haben, weil die Lichter ihn daran erinnerten, da wir dort bis zur Abenddämmerung blieben und ich antworte darauf, dass wir uns dort ständig gestritten hatten, wegen der Briefe und unserem Kommunikationsproblem - er antworte ,,Ja, stimmt´´. Ein Zeichen dafür, dass er mir nicht zugehört hat, dieses ,,ja, stimmt'' - und schon wieder war es da, dieses Problem, das Kommunikationsproblem. Die Themen, die wir hatten, waren gut. Wirklich gut. Doch wenn keine Themen vorhanden waren, war es wirklich unangenehm, wie in diesem Augenblick. Ich klammere meinen Arm an seinem, drücke mich an ihn und wir laufen die Straßen entlang. Wir laufen, die Kälte ist erdrückend, wie das Schweigen zwischen uns und sehen uns während des Gehens kein einziges Mal an. Dieses ,,nichts sagen" fängt an, mich aggressiv zu machen - deswegen passen wir so gut zusammen, er und ich, wir sind beide aggressiv gewesen, sind es immernoch, nur zeigen es nicht mehr, wir sind ja schließlich erwachsen geworden - und das Bedürfnis auf einen Drink wird immer stärker. Wir biegen in die nächste Ecke ein und da sehe ich diese wunderschönen Lichter, worauf witzigerweise "Papperla Pub" steht, ein gelungener Bar-Name. Hier sind bestimmt nur mode- und selbstbewusste Menschen, die Location ist unglaublich, die Cocktailauswahl ist riesig. Wie eine sture 5-jährige, die darauf besteht, dass ihre Mutter ihr das Spielzeug kauft, welches sie unter allen Umständen braucht, stehe ich vor dem Pub und rufe ,,Hier". Er spielte das Spiel nicht mit; ich vergesse, wir sind ja keine Kinder mehr, wir sind erwachsen, wir machen so etwas nicht.
Wir sind keine Kinder mehr, also kann ich auf mich selbst aufpassen. Ich brauche keinen Gentleman, er braucht mir die Tür nicht aufhalten, also öffne ich sie und schenke ihm den Vortritt. Er steht vor mir, ich dicht hinter ihm, rieche sein Parfum, er trägt es oft. Vor drei Tagen habe ich es auch an ihm gerochen; es ist ein permanenter, starker Duft, es passt zu ihm, wie die Faust aufs Auge. Mein erster Eindruck hat mich nicht gettäuscht, diese Bar hier passt vollkommen zu mir, hoffentlich passt es ihm, dass wir hier sind. Es ist ein halb dunkler Raum, an der Bar sitzen verzweifelte Frauen, die die große Liebe suchen und Männer, die abfüllbare Frauen suchen, um anschließend einen richtig guten, eimaligen One-Night Stand gehabt zu haben. In welcher Bar ist es nicht so? Nichts ist perfekt, jeder hat seine Macken, die Bar, er und vorallem ich. Ansonsten sitzen an den Tischen wunderschöne, junge Pärchen, welche ihre gegenseitig spendierten Cocktails schlürfen und über ältere Zeiten reden. Da merke ich, dass ich leicht eifersüchtig werde. Nicht über die Tatsache, dass sie über alte Zeiten reden, sondern dass sie das mit ihren jungen Jahren von sich behaupten. Wie gern würde ich wieder mit meinen jungen, zwanzig Jahren mit ihm über alte Zeiten reden. Die Zeit vergeht, der Minutenzeiger macht keine Pausen, also setzen wir uns, die Nacht ist nicht unendlich.
Aus Gewöhnung schaue ich mir die Getränkekarte an, nicht jede Bar macht Mochitos oder Blutorange Cocktails. Wie diese hier, sie macht keine Mochitos, also entschied ich mich für den Blutorange Cocktail. Er bestellt sich ein Bier, ich habe es noch nie gemocht und ein Kellner in einem lila Hemd kommt und stellt die Getränke auf den Tisch. Er merkt es nicht einmal, er ist so abwesend, er war es schon immer, aber auch das finde ich irgendwie sexy, aus einem erklärlichen Grund: ich finde es geil, jedesmal aufs Neue seine Aufmerksamkeit zu ergattern. Ich möchte anstoßen, hebe mein Cocktail und sage ,, Na dann...zum Wohl'', er erwidert es und schaut mir nicht in die Augen, in denen ich mich sehnsüchtig verlieren will und wir stoßen an. Auf einer komischen, aber romantischen Art macht er mich darauf aufmerksam, dass ich einen Cocktailbart bekommen habe, ich wische es sofort weg, aber ladylike, er merkt hoffentlich nicht, dass mir das zutiefst peinlich ist.
Er scheint nervös zu sein, aber das war er auch immer in meiner Gegenwart. Er war schon immer ruhig, nachdenklich, abwesend, aber es stört mich in diesem Moment. Er schaut in sein Glas, er findet kein Gesprächsthema, wie war das mit dem Kommunikationsproblem? Gut, ich auch nicht, ich schaue auch in meinen Cocktail und überlege, was genau ich von ihm wissen will. Sofort kommt mir eine Frage in den Sinn, ich frage ihn, ob er in den letzten Jahren oft in der Stadt gewesen ist. Immer noch abwesend verneint er vor sich hin murmelnd. Amüsant, dass er mich anlügt, er ist oft in der Stadt, dass weiß ich, wegen seiner Arbeit, worauf ich ihn anspreche und ein Lachen kann ich mir nicht mehr verkneifen, leider. Ich hasse es vor Leuten zu lachen, mein Lachen ist hässlich, es ist unattraktiv, aber ich weiß, dass es sympathisch macht. Nein, er fragt mich, wieso ich lache, ich suche eine Ausrede wie eine Nadel im Heuhaufen, sage ihm, dass ich mir nicht vorstellen kann, wie er im Anzug aussieht. Er geht drauf ein, nickt, sagt, dass er es sich auch nicht vorstellen konnte. Ich entschuldige mich, natürlich versteht er nicht wirklich wieso, aber es ist okay, er hat meine Notlüge nicht bemerkt. Ich traue mich, ich fange an mich ihm zu nähern, mein Kopf bewegt sich immer mehr in Richtung des seines, heftig, wie verliebt ich in diesen Mann bin. Ich sage ihm, dass ich mich freue, dass es ihm gut geht, aber das stimmt so nicht ganz. Klar, finde ich es gut, dass es ihm gut geht, aber ich will, dass er mit mir zufrieden ist, dass ich seine Erfüllung bin, diese Hoffnung, diese Hoffnung.
Ich gestehe ihm, dass ich oft über uns nachdenke, dass mir unsere Vergangenheit leid tut, dass ich es schrecklich von mir finde, dass ich so unmenschlich zu ihm war. Und wie es eben so ist, stellt er sich mal wieder als totaler Gegensatz heraus, er ist genau das Gegenteil von mir, menschlich. Er akzeptiert es einfach, sagt nichts Großartiges dazu, außer, dass es mir nicht leid tun muss.
Ich versuche ihm ehrlich gegenüber zu sein, versuche ihm zu erklären - gleichzeitig trinke ich kräftige Mutschlücke - dass ich heute von mir denke, dass ich damals noch nicht so weit war. Er scheint aufgebracht zu sein, nehme ich an, er knallt das Bierglas nämlich auf den Tisch, leicht verängstigt versuche ich zu verstehen, warum. Er sieht unentspannt aus, als ob er versucht, sich zu beherrschen und fängt einen Satz an: ,, Nach all den Jahren", welchen ich sofort zu unterbrechen versuche, ,,Ich hab dich... hab dich so lange nicht gesehen...und jetzt, versteh mich nicht falsch...". Innerlich bete ich zu Gott, flehe ihn an, dass er mich doch falsch versteht und er es hinterfrägt. Er versteht es jedoch richtig, trinkt den Arschlochschluck aus und sagt, dass er mich versteht, dass er es nicht falsch verstanden hat, dass er mich schon damals gut verstanden hat und anschließend entschuldigt er sich, was ich nicht verstehe, jedoch auch nicht hinterfrage, weil richtige Frauen nie eine Entschuldigung in Frage stellen. Ich sage ihm einfach, dass es ihm nicht leid tun muss, dies sollte reichen.
Ich spiele mit meinem Strohhalm, ich merke, dass er mich mit seinem Blick durchbohrt, noch traue ich mich nicht, meinen Kopf zu heben und ihn anzusehen. Ich überlege kurz, was die Folgen wären, entscheide mich schließlich doch dafür,ihn anzusehen, mein Kopf erhebt sich automatisch, ganz von alleine, ich sehe in seine wunderschönen, grünen Augen; die Welt hält still. Aus irgendeinem Grund - den ich kannte, aber wieder vergessen habe aufgrund dieses wunderschönen Moments - nickt er und ich muss zwanghafterweise lächeln. In dieser Sekunde vergehen gefühlte Stunden, Millionen von Fantasien schwirren durch meinen Kopf, zerstört durch seinen Wink des lila Hemdträger Kellners. Ich denke das gleiche wie er, bestimmt, ich weiß, dass er schnell Vorurteile macht, aber Entschuldigung, dieses Hemd sieht an dem Kellner wirklich nicht wirklich hetero aus. Eine der unwichtigeren Fragen kommt nun, ob ich noch was trinken möchte, es stellt sich heraus, dass es doch nicht so eine unwichtige Frage ist, weil er mehr trinken sollte, Alkohol macht nämlich ehrlich und gesprächig, er sollte wirklich mehr trinken. Der Kellner nimmt unsere leeren Gläser, verschwindet augenblicklich, und es kommt über mich, ich muss wissen, ob er noch hier bleibt und frage ihn, ob er in der Stadt bleibt. Er merkt, dass ich neugierig bin, deutet ein leichtes Lächeln an, ich fühle mich ertappt, er antwortet, gleichgültiger kann man nicht antworten: ,,mal sehen". Um nicht zu ernst zu werden, frage ich eine eher unwichtigere Frage, die sich nach öfterem Überlegen wieder als garnicht so unwichtig entpuppt, ob die Arbeit läuft, ob seine Geschäfte im Gange sind. Sie gehen gut, er kann nicht klagen, sagt er, aber viele Menschen können Sachen behaupten, die nicht stimmen.
Ich merke an, dass er in einem schönen Hotel wohnt, und da er mir mit ,,ist nicht schlecht, wirklich nicht...aber auf Dauer...´´ antwortet, biete ich ihm meine Hilfe an, da ich meine Connections habe, meine Kontakte, die ihm eine Wohnung herzaubern können. Er lehnt ab, leider, indirekt, er will mich bestimmt nicht verletzen, er sagt: ,,mal sehen". Im gleichen Moment kommt wieder der Kellner, bringt ihm sein Bier, er trinkt. Wie er dieses Bier trinkt, es gleicht einer Bierwerbung, wie in Zeitlupe schluckt er das anscheinend köstlichste Getränk der Welt, stellt es ab und gibt ein lautes "haaaaaah" von sich. Meine Fantasie kennt keine Grenzen, ich denke an Sachen, die ich nie aussprechen würde, ich stelle mir Sachen vor, die ich mich niemals trauen würde, weil sie so schmutzig sind und - nein; er wagt es aufzustehen und zu gehen! Hab ich etwas falsches gemacht, hat mein Gesicht während meiner Kopfkinovorstellung eine Grimasse gezogen und hat er die Schnauze voll gehabt? Das Bier hat er schon ausgetrunken, ich merke erst jetzt, dass das Glas leer ist, so gedankenverloren wie ich bin, hab ich ihm wahrscheinlich nicht mal zugehört. Hat er jetzt keine Lust mehr auf mich? Was macht er? Er läuft zwischen den Tischen, ich bin kurz davor loszuschreien, damit er nicht von mir weicht und da bemerke ich, er sucht das Klo, um Himmels willen, der Abend wäre beinahe gelaufen, meine letzte Chance verspielt. Geht er auch wirklich aufs Klo, weil er es muss oder braucht er seine Ruhe vor mir? Bei jedem Treffen die gleichen Fragen, bei jeder seiner Bewegungen die gleichen Vorstellungen, bei jeder seiner Begegnungen das gleiche Gefühlswirrwarr in meinem Kopf. Die Klotür knallt zu, er ist weg, ich bin alleine, sitze als Einzige nun ohne Partner an einem Tisch.
Warum schaut mich die Blonde an dem Tisch gegenüber so an? Ist sie eifersüchtig, will sie ihn für sich? Die Tussi soll sich mal verdünnisieren, die kann mal ganz schnell abhauen, sonst kratze ich ihr die Augen aus. Sie schaut mich an mit einer Miene -- lieber Herr Gesangsverein! - das könnte eindeutig der Blick des Todes sein. Ich packe meinen Handtaschenspiegel aus, schaue hinein in mein Spiegelbild, der Lippenstift perfekt aufgetragen, meine Wimperntusche kaum verklumpt. Eigenlob stinkt, aber wenigstens schminken kann ich mich, die soll nicht so dumm herschauen, sie kann sich offensichtlich nicht schminken, die blöde Kuh, was denkt die eigentlich wer sie ist? Ist sie besser als ich, weil sie größer ist als ich? Weil sie schönere Kurven hat als ich? Und dieser fette Typ an der Bar, er soll aufhören, mir ständig zuzuzwinkern. Von wegen modebewusste Menschen, das ist der reinste Saftladen hier. Ich mach eine Handbewegung, deutlich, ich bin nicht alleine da, schlimm. Bitte komm zurück, bitte, lass mich nicht alleine hier, zwischen arrogante Ausschnittsekretärinnen und zuzwinkernde Fettleibige, das Nachtleben war noch nie meins gewesen, aber ohne dich ist es grausam.
Diese Blicke der fremden Personen brennen auf meiner Haut, die Haut in der ich mich unwohl fühle, ich merke, wie ich nervös werde. Langsam fängt es an, hier richtig stickig zu werden, ich bekomme kaum noch Luft. Ich fange an mit einem meiner High-Heels auf den Boden zu klackern, doch weil das zu laut ist, versuche ich mich anderweitig zu beschäftigen. Die Kerze brennt auf dem Tisch, ich nehme sie, schiebe sie auf dem Tisch hin und her, ständig gleichmäßige Bewegungen, mein Stressabbau. Hin und und zurück, hin und zurück. Das Hinschieben dauert genauso lange wie das Zurückschieben. Wo bleibt er?
Ein noch fetterer Mann hat sich zum Kandidat Nr.1 hingesetzt, anscheinend Freunde, sie starren mich beide an, widerlich, was für Gedanken sie bestimmt haben. Ich schaue zu Mrs.Blondficktgut und sie kramt in ihrer Handtasche, sucht ihren Spiegel, ich bin erleichtert darüber, dass ich nicht die Einzige mit Komplexen bin, schenke ihr einen Luftkuss und ein Augenzwinkern, welche sie beide nicht bemerkt aber mein Selbstbewusstsein steigen. Mein Kopf dreht sich wieder zu den Männern, sie sind verschwunden, das ging flott, wo sind sie?Oh nein, haben sie den Kuftkuss empfangen? Und plötzlich merke ich eine Hand auf meiner Schulter, ich zucke zusammen, muss fast aufschreien, ich höre die Person sagen:,, Lass uns hier abhauen, bitte" ich blicke auf und ein Stein fällt mir vom Herzen, schon lange war ich nicht mehr so erleichtert. Da steht er, die Ewigkeit ist zu Ende, er ist zurückgekommen, ich frage mich, was er so lange auf dem Klo gemacht hat, ich sehe sein Hemd hat Wasserflecken, er sieht frisch, aber verärgert aus. Ich frage ihn, ob es ihm gut geht, obwohl ich weiß, dass ich keine wahrheitsgetreute Antwort bekommen werde und ich bin mir sicher, dass wir beide hier verschwinden wollen. Er schlägt vor, Billard spielen zu gehen, außerdem müsse er sowieso an die frische Luft, wie ich, wir sind so unterschiedlich, aber dennoch gleich, so gleich. Er fragt mich ob ich Billard spielen kann, was für eine unnötige Frage, dennoch beantworte ich sie mit ,,ein bisschen" und wir gehen an all den grotesken Menschen und den Kerzen, die Stress abbauen, vorbei, hinaus aus der Sauna hier, in die frische Luft.
Vor dem Schaufenster stehend schauen wir uns die Unmengen an Schuhen an und ich denke über die vergangene Stunde nach. Das Billardspielen war schön und mein Können schlecht, wie in alten Zeiten; er hatte mich schon immer gewinnen lassen, er dachte, ich merke es nicht, aber ich wusste, dass er nicht so schlecht gewesen sein kann, seine Kugeln vor den Löchern nicht reinmachen zu können. Er wusste jedoch, dass er mich damit zum Vergessen bringt, denke ich, dass ich das Spielen mit ihm genießen kann, eines der wenigen Sachen, die ich genießen kann, mittlerweile. Im Schaufenster spiegeln sich unsere Gesichter und ich bin fast dabei, meinen Kopf an seine Schulter zu legen, ich rappel mich auf, sage ihm, dass es spät geworden ist und er bestätigt es. Er scheint wieder nervös zu werden, ich auch, er schaut auf seine Uhr - das hat er schon zum fünften Mal gemacht in einer Viertelstunde, der Abend muss an seinem Ende angelangen, egal, wie stark ich dagegen ankämpfe. Er läuft weiter, ich sehe in mein Spiegelbild, ich frage mich:,, wer bin ich? Was macht mich glücklich? Er?" Ich schaue zu ihm rüber und er zündet sich gerade eine Kippe an, ja, denke ich, er macht mich glücklich, egal ob er nun angefangen hat zu rauchen oder nicht. Wie er diese Zigarette anzündet, wie er den Rauch einatmet, das ist der erotischte Anblick des heutigen Abends, unglaublich, aber er hat die Zeitlupenbierwerbung getoppt. Ich gehe auf ihn zu, er sagt, er bringt mich nach Hause, er müsse dann ins Hotel und ich ertappe mich dabei, wie ich ein trauriges Gesicht mache. Moment, woher weiß er, wo ich wohne? ,,Hat mir jemand erzählt." Er sagt, er rauche nur ab und zu. Ich schnorre mir eine von ihm - wie lange habe ich schon keinen Glimmstängel zwischen den Lippen gehabt? - und rauche. Der Nikotin ist mein Trost, ich will nicht, dass es jetzt so endet. Ich frage ihn, wann wir uns wiedersehen, er sagt ,, bald, vielleicht morgen oder so, muss noch bisschen was klären, wegen der Arbeit und dem Hotel und so." aber so richtig glauben kann ich es nicht. Er hat ein Geheimnis vor mir, er will es mir einfach nicht sagen. Es gibt hier so viele Möglichkeiten billig zu wohnen, warum wohnt er in einem Hotel? Wir laufen weiter.
Wir werden immer langsamer, er hält an jeder Schaufensterscheibe und starrt jede sehr lange an, macht er das mit Absicht, weiß er, dass ich bald zu Hause bin? Sind meine Hoffnungen berechtigt? Er würde mir keine Antwort darauf geben, ich muss mich damit abfinden, nur daran zu glauben. Ein Taxi fährt an die Straßenseite, er hat ein Taxi gerufen. Natürlich bin ich enttäsucht darüber, lass es mir nicht anmerken, sage ihm, dass es mich wirklich freut, dass wir uns wieder getroffen haben, er murmelt wieder irgendetwas vor sich hin, legt seine Hand auf meine Haare, ich habe auf den ganzen Melancholiescheiß keinen Bock, sage nichts, er steigt ins Taxi und in mir Wut. Dieses "immer mal wieder" Treffen macht ihn doch sicher fertig, mich macht es fertig. Nein, ich bin fertig, mit ihm. Die Zeit mit ihm ist wunderschön, jedesmal aufs Neue, aber so geht das nicht weiter. 15 Jahre sind genug, ich kann nicht mehr, wieder stehe ich mit leeren Händen und trockenem Blick da, Ich schnappe nach Luft, bekomme keine mehr. Ich stehe da, im Regen, alleingelassen, sein Taxi fährt in Richtung Bahnhof. Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr. Mein Herz wird taub, mein Kopf wird schwer, jedes Mal tun wir so als ob es ein Anfang wär, doch so geht das nicht. Das Wasser bringt mich zum Frieren, ich sitze auf dem Boden, meine Arme umklammern meine Beine, ich weine, und meine Tränen werden mit dem Regen eins. Diese unendliche Trauer bringt mich dazu, diesen Beschluss zu fassen:
Das nächste Taxi werde ich benutzen, ich werde auch in Richtung Bahnhof fahren. Aber nicht, um ihm hinterherzurennen, nein. Ich werde eine weitere Kippe rauchen, einen tiefen Zug inhalieren und der nächste überfährt mich.

Montag, 3. Oktober 2011

white cinder

der flüssige tod in 4 gin tonic verteilt; vereilt auf eine ganze nacht.

wir tanzten, nackt, vor unseren spiegelbilder, frei. unvollkommen

sehen wir der realität ins auge, zieh das weiße pulver hoch,

das zeug hat pepp, du fühlst dich gut, sei gut.

alles vernebelt sich ringsum, die nacht schluckt die schreie unsrer alten narben;

sie gehen immer wieder auf, wir versuchen sie zu heilen,

doch es gibt keine heilung, nur uns.